Reise in den Märchenwald

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In frühester Jugend waren die angrenzenden Waldgebiete für uns Kinder Orte voll kindlicher Vergnügen. Während die Mädchen sich auf den Lichtungen die gepflückten Blumen in Kränzen ins Haar flochten und vom Märchenwald träumten, knallten wir Jungen mit unseren Zwillen Eicheln gegen die Baumstämme.

In der Schule wurde vom Mythos des Deutschen Waldes geraunt, der mit seinen deutschen Eichen und seinen deutschen Hirschen auf der Welt nicht seines gleichen findet.

Wenn`s hochkommt, ließ uns ein junger Biologielehrer im Frühjahr an hohen Buchen mit dem Stethoskop das Rauschen des Wasser in den Stämmen erlauschen, wobei wir uns gegenseitig versicherten, dass wir ein Mordsrauschen hörten – obwohl jeder unsicher war, ob dort wirklich etwas zu hören war.

Später sang es „Unser Freund der Baum“, wohl um die ständigen Alarmmeldungen vom Absterben des Deutschen Waldes zu übertönen.

Keiner hat uns von den Wundern der Bäume erzählt, z.B. von ihren Fähigkeiten

• miteinander zu kommunizieren, über ihr Wurzelwerk, ihre Düfte, über Pilze,

• sich gegenseitig zu ihrer aller Nutzen zu unterstützen,

• sich während ihres Wachstums auf raffinierte Weise ihre Kräfte einzuteilen.

Keiner konnte uns in unserer Schulzeit erklären, warum ältere Bäume schneller wachsen oder wie die Versorgung mit Wasser in ihnen letztlich funktioniert.

Wald wurde beschränkt auf seine Funktionen Erholung, wirtschaftlicher Nutzen und Jagdvergnügen.

In den letzten Jahren hat das sich stark erweiterte Forschungsfeld um Baum und Wald staunenswerte Ergebnissen produziert, deren anschauliche Theorie und fundierte Praxis in einem seit Monaten auf der Sachbuchbestsellerliste stehenden Buch voller Lesegenuss zu genießen ist.

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(ISBN-13: 978-3453280670 – beim Buchhändler Ihres Vertrauens)

Peter Wohlleben ( nomen est omen) ist der verantwortliche Förster in Hümmel, einer rheinland-pfälzischen kleinen Eifel-Gemeinde, die den größten Teil ihres Gemeindewaldes, ein rund 4000 Jahre alter Buchenwald, „urwäldlich“ erhalten will. Kling märchenhaft – ist es auch. Denn: Dieser Wald erbringt höheren wirtschaftlichen Nutzen als die herkömmlichen Forste – vom ökologischen Gewinn einmal abgesehen.

Dass eine Gemeinde ein großes Stück Natur sich weitestgehend selbst überlässt und sehr gut damit fährt, hat Franz Josef Adrian, ein Streiter für eine ökologische Forstwirschaft in seinem sehr lesenswerten Bericht über Hümmel  ausführlich mit ausgezeichnetem Bildmaterial dargestellt.

In unseren ökologisch rauen Gefilden sind wir`s gewohnt, dass Hecken- und Sträucherwerk entlang von Wegen gegen Februar mit Maschinengewalt zerhauen, gestutzt und geschreddert wird. Wir müssen zusehen, dass mit Kräutern, Gras und Blumen bewachsene „Betriebsgelände“ nach einem „Pflegeplan“ zweimal im Jahr ratzekahl kahl gemäht werden. Manchmal werden gesunde Bäume gefällt, manchmal verschwindet eine mit Steuergeldern bezahlte Streuobstwiese. All das natürlich aus bürokratisch gehärtetem guten Willen, aus Sicherheitsgründen und zur Verkehrssicherheit für überdimensionierte Traktoren und Vollernter – also zu unser aller Wohl: Wir haben`s nun einmal gern reinlich und bequem.

Um wenigstens einmal zu erleben, wie ökologische Erkenntnisse und Vorstellungen sich nicht nur als Visionen (Helmut Schmidt: „Wenn Sie Visionen haben, gehen Sie zum Psychiater!“) sondern in der Realität anfühlen (sicherlich auch, um alte kindliche Märchenwaldträume wieder anklingen zu lassen), haben sich die Triumvirätinnen des Vorstandes unserer kleinen Naturschutzgruppe aufgemacht in die raue Eifel zur Erkundung der naturgemäßen Waldwirtschaft in Hümmel.

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Ihre Eindrücke und begeisterten Schilderungen decken sich mit dem oben erwähnten Bericht von Franz Josef Adrian. Allerdings kamen sie auch mit der Erkenntnis zurück, dass in dem dunklen Tunnel des Interessengeflechtes von Forstwirschaft, ihrer Bürokratie und dem Jagdwesen – und vor allem an fehlendem Wissen und mangelnder Offenheit für die notwendige Ökologie des Waldes ( und der ganzen Natur ) kein Licht zu sehen ist.

Spinnen die Schweizer?

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Manch ein Politiker will die Kavallerie zum Einmarsch in die Schweizer Bankenwelt bereithalten. Doch die Schweizer haben bereits in einem für uns relevanten Gebiet ihre Pferde gesattelt und sind los geritten.

Bereits 2005 haben die Schweizer einem fünfjährigen Moratorium gegen die kommerzielle Freisetzung genmanipulierter Pflanzen zugestimmt.

Als die eidgenössische Ethikkommission 2008 Pflanzen eine eigene Würde zusprach, erhob sich ein vielstimmiger Chor der Kritiker – mit Strophen von Spott ( „Die Würde der Kartoffel“) und Unverständnis („Verbot des Rasenmähens“) und  offener Ablehnung (Agrar-Chemie-Industrie).

In den „Rheinauer Thesen“ wird betont, dass Pflanzen, Tiere und Menschen die gleichen Wurzeln haben: In drei Milliarden Jahren Evolution von einzelligen Lebewesen zu einer riesigen Vielfalt von Lebensformen.

Florianne Koechlin – neben einer großen Gruppe von Fachwissenschaftlern eine der Initiatorinnen der „Rheinauer Thesen“ – schreibt in ihrem Buch „PflanzenPalaver“ spannende Geschichten über die Geheimnisse der botanischen Welt. Sie unterstützt sie durch einen vielseitigen Anmerkungsapparat, dem zu entnehmen ist, welcher Paradigmenwechsel gerade in der Biologie vonstatten geht und der verdeutlicht, dass Pflanzen, Tiere und Menschen in koevolutionäre Prozesse eingebunden und in vielerlei Abhängigkeiten miteinander verbunden sind.

 Koechlin_Pflanzenpalaver

Lenos Pocket 126

XVI, 237 Seiten, broschiert
mit 23 Schwarzweissabbildungen und 21 Farbtafeln
€ 15.90, sFr. 22.50
ISBN 978 3 85787 726 1

„Ich bin Leben, das leben will, inmitten von Leben, das Leben will“  – das hat bereits Albert Schweitzer gesagt.

Mozart im Weinberg

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Wer kennt in diesen kalten bewegungsarmen Zeiten nicht die verhaltene Sehnsucht nach einem kleinen Spaziergang durch frühlingswarme Weinberge – auch wenn wir dazu in Obersülzen nur die noch vorhandenen 3 1/2 Wingerte nutzen könnten.

Stellen wir uns weiter vor, wir haben bei diesem Gang durch einen Griff zum Ohr gemerkt, dass wir den iPod vergessen haben. Aber wo kommt dann die Musik her? Das muss doch Mozarts Musik sein, die über den ganzen Weinberg schwingt. Beim Weitergehen entdecken wir in den Reben auf Masten montierte Bose-Lautsprecher-Boxen aus denen es fröhlich schallt: „Ein Mädchen oder Weibchen, wünscht Papageno sich …“

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So gern man sich auch dieser Vorstellung hingeben möchte – in Obersülzen hat´s Mozart im Weinberg doch sehr schwer.

Was nicht heißt, dass diese Phantasie jeder Realität entbehrt.

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Dieser Mann – Giancarlo Cignozzi – ist Winzer in der Toskana, Mozartliebhaber, früher Rechtsanwalt in Mailand. Seine Weinberge liegen im Gebiet um Montalcino, wo der berühmte Brunello di Montalcino angebaut wird.

Seit 10 Jahren erschallt in seinen 60 Hektar großen Weinbergen Mozart oder auch Vivaldi – aus 70 großen wetterfesten Boxen, die die Firma Bose spendiert hat.

Spinnerei? Schnapsidee im Weinberg?

Anscheinend nicht, denn seit fünf Jahren wird die Beobachtung des italienischen Winzers, dass in beschallten Weinbergen dichteres Weinlaub, größeres Traubengut, widerstandsfähigere Stöcke produziert werden, von Stefano Mancuso, Pflanzenelektrophysiologe von der Universität Florenz, wissenschaftlich begleitet und untersucht.

So viel scheint fest zu stehen: Die Weinpflanzen „hören“ zwar nicht, aber ihre empfindlichen Zellmembranen reagieren sehr empfindlich auf die Vibration des Schalls – und die Pflanzen verhalten sich dazu. Mozart-Musik verursacht wohl die richtigen Vibrationen.

Das macht neugierig. Deshalb wird seit Jahren ausführlich über die Mozart-Weinberge berichtet – wie hier in der Sendung des Hessischen Fernsehens: „alles wissen“.

Mozart im Weinberg – „alles wissen“ – Sendung des HR

Dass sich überhaupt Wissenschaftler mit diesen Phänomenen beschäftigen – und das im Zeitalter der monokulturellen Agrarwirtschaft – geht auf Veränderungen von Grundannahmen in der Wissenschaft der Biologie zurück:

Pflanzen werden nun nicht mehr als Automaten gesehen, die starr von ihren Genen gesteuert werden. Wenn für Intelligenz der kleinste Nenner, die Fähigkeit, Probleme zu lösen, ist – dann muss Pflanzen eine Intelligenz zugesprochen werden.

Die Biologin Florianne Koechlin berichtet schon seit Jahren über diese Veränderungen in der Biologie und ist eine der Initiatoren der Rheinauer Thesen, einer Schweizer Bewegung, die die Ethikkommission der Schweiz schließlich – gegen großen Widerstand der Agrarlobby – veranlasste, Pflanzen ihre eigene Würde zuzugestehen mit der Aufforderung – weil wissenschaftliche Ergebnisse es nahe legen – die Natur neu zu denken.

Florianne Koechlins Bücher sind spannend und griffig geschrieben. Dem umfangreichen Anhang ist jeweils die wissenschaftliche Begründung zu entnehmen.

Koechlin_Mozart

ISBN 978 3 85787 424 6

 

Intelligenter Schleimschimmel?

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Wikimedia Commons: Dr. Jonatha Gott and the Center for RNA Molecular Biology, Case Western Reserve University

Schleimschimmel (Physarum polycephalum) – man findet diesen einzelligen Gesellen als neonfarbenen Klecks im Wald auf verrottendem Holz oder auch auf fleischigen Pilzen. Er ist weder Tier, noch Pflanze, noch Pilz.

Weil er so gut im Labor zu beobachten ist, gilt er als gutes Untersuchungsobjekt.

Sein Lebensziel – so fanden Forscher heraus – ist der Aufbau eines effizienten Netzwerkes, mit dessen Hilfe er an seine Nahrung kommt.

Plasmodium des Schleimschimmels

Solche Fähigkeiten haben viele Organismen: Also was soll das mit der Intelligenz?

In Japan erforschen Wissenschaftler um den Nobelpreisträger Toshiyuki Nakagaki vom Bio-Mimetic Control Research Centre in Naguya Japan die staunenswerten Verhaltensweisen des Schleimschimmels.

Der Schleimschimmel kann sich an Veränderungen seiner Umwelt erinnern und sein Verhalten antizipieren.

Bild: Toshyuki Nakagaki

Die Forscher veränderten alle erste 10 Minuten einer Stunde die Platte, auf der sich der Schleimschimmel entlang tastete in eine trockene und kalte Umgebung, sodass der Schimmel seine Bewegung stoppte und sich aufstaute. Nach drei Versuchen unterließen die Forscher den Wechsel. Der Schimmel stoppte aber trotzdem in den weiteren ersten 10 Minuten der Stunde in Erwartung der Trockenheit und Kälte.

Wenn der Kälte-Trockenheit-Rhythmus eine lange Zeit unterblieb, verhielt sich der Schleimschimmel normal.

Aber wenn nur ein leichter Kältehauch ihn berührte, ging er wieder in das gelernte Verhaltensintervall zurück.

Die japanischen Forscher untersuchten mit dem gleichen Ergebnis auch andere weitere Intervall-Rhythmen.

Nobelpreisträger Toshiyuki Nakagaki zu seinen damaligen Versuchen: „ Physarum scheint cleverer sein als wir annahmen. Der Schimmel könnte eine Chance sein, zu untersuchen, was Intelligenz ist.“

Also Intelligenz! Aber es geht noch weiter:

Der Schleimschimmel findet effiziente Wege zu seiner Nahrung.

Der Schleimschimmel wurde im Versuch in ein 30 x 30 cm – Labyrinth gelockt.

Zunächst verteilte er sich über das ganze Labyrinth auf der Suche nach Futter. Als die Forscher an die Ausgänge Haferflocken legten, zog sich der Schimmel innerhalb von 4 Stunden bis auf den optimal kürzesten Weg zu den Ausgängen zurück. So verringert er intelligent seinen Energieverbrauch für die ganze Fläche und kommt effizient zu seiner Nahrung.

Soviel intelligentes Verhalten bei einem einzelligen Mischwesen, das sich in der Stunde rund einen Zentimeter bewegen kann,  macht neugierig.

Der einzellige Schleimschimmel baut selbst organisierend effektive  Netzwerke auf.

Im nächsten Versuch – 2010 – markierte Nakagakis Team die Position der Städte um Tokio mit Schleimschimmel-Leckerbissen. Dann setzten sie Physarum in die Hauptstadt. Zunächst überwucherte der Schimmel breiartig die ganze Fläche. Nach acht Stunden bildeten sich dicke Verbindungsadern zwischen den Städten heraus und der Schimmel verließ vollständig die Fläche.

Ein Vergleich mit dem tatsächlichen Schienensystem der tokioter Eisenbahn ergab eine verblüffend ähnliche Vernetzung, die der Schleimschimmel sich selbst organisiert hatte.

Und diese Leistung erbrachte der Schimmel ohne jeden zentralen Kontrollmechanismus. Nakagaki erklärt das so: „Mache eine Ader umso dicker, je mehr Zellflüssigkeit in ihr strömt!“ Und da die Aktivität zwischen mehreren Futterquellen am höchsten ist, bilden sich so die effektivsten Verbindungen heraus.

 Toshiyuki Nakagaki: „Physarum ist viel cleverer als ich dachte, daher möchte ich meine dumme Meinung ändern, einzellige Organismen seien dumm.“